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Hallo,
meine Frage bezieht sich nicht auf eine konkrete Aufgabenstellung oder einen Beweis, sondern ist eher eine allgemeine Frage.
Wenn ich etwa mit einem Buch oder Skript arbeite und einen Satz lese, versuche ich diesen erst einmal selber zu beweisen.
Dann gibt es drei Fälle:
1. Es gelingt mir.
2. Es gelingt mir bis zu einem gewissen Schritt, den ich später nachlese und danach schaffe den Beweis zu einem Ende zu bringen. (Natürlich können es hier auch mehrere Stellen sein an denen ich stocke)
3. Es gelingt mir überhaupt nicht, weil die Technik des Beweises am Ende sehr viel anders ist, als von mir erwartet.
Bei solchen Beweisen des "Typ 3" bin ich oftmals in der Lage die Schritte des Beweises zu verstehen, doch irgendwie habe ich dabei immer das Gefühl, dass ich die Beweisidee nicht verstehe, bzw. nicht weiß warum jetzt eben diese Vorgehensweise gewählt wird und mein Versuch "zum scheitern verurteilt" war.
Mir ist klar, dass es für viele Sätze auch viele verschiedene Beweise gibt und es natürlich dann auch auf den Autor/Professor ankommt, für welchen Beweis er sich entschieden hat.
Das heißt also nicht unbedingt, dass meine Beweisidee prinzipiell nicht funktioniert, auch wenn es mir nicht gelingt. Vielleicht kann man sie ja doch irgendwie reparieren. (Eher nicht...)
Was mich nun stört ist, dass ich einen Beweis überhaupt verstanden haben kann, wenn mir die Beweisidee nicht klar ist, bzw. warum eine bestimmte Technik verwendet wird.
Denn wenn ich später nochmal zu einem solchen Beweis zurückkehre, ist mir manchmal immer noch nicht ganz klar, wie es genau war und der Beweis fällt dann in den "Typ 2", wobei ich dann meistens den Anfang benötige und es dann schaffe.
Ich habe gerade kein konkretes Beispiel für einen solchen Beweis.
Woran kann sowas liegen? Ist es dann eher ein fehlendes Verständnis der Grundlagen, oder liegt es daran, dass solche Beweistechniken dann eher "exotisch" sind, weil sie auch bisher in der Vorlesung oder ähnlichen nicht verwendet wurden.
Kennt ihr sowas auch? Wie geht ihr mit sowas um und wie kann man die Idee eines Beweis verstehen.
Denn oftmals ist mir auch nicht ganz klar, wie sich diese Methode nun auf den Beweis konkret auswirkt. Und das wird wohl das Hauptproblem sein.
Ich weiß, die Frage ist extrem schwammig und eine wirkliche Antwort wird es nicht geben, aber dennoch würde mich eure Erfahrungen oder Tipps interessieren, wie man sowas ändern könnte.
Vielen Dank.
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Nicht wundern!
Als ich 1970 mit dem Mathe-Studium anfing, dachte ich auch, man würde jetzt nur noch ein paar Tricks und Rechentechniken lernen und mit ein paar noch unbekannten Problemen vertraut gemacht werden. Das Gegenteil war der Fall.
Noch heute beschäftige ich mich mit bekannten und unbekannten math. Problemen und stelle immer wieder fest, dass ich (bis auf endlich viele Ausnahmen) nicht auf die Beweisidee komme...
Akzeptiere: Das ist normal! Deshalb haben Mathematiker Jahrhunderte gebraucht, um solche Ideen zu entwickeln, und das waren Genies.
Es gibt gewisse Standardbeweise/-verfahren, die du in "normalen" Fällen beherrschen solltest, so z.B. die Vollständige Induktion und den indirekten Beweis. Wie das aber im Einzelfall anzuwenden ist, ist immer wieder vom Problem abhängig. Du wirst aber merken, dass sich bestimmte Verfahren wiederholen: Anwendung des Mittelwertsatzes, des Euklidschen Algorithmus', Konstruktion einer bestimmten Funktion, Umstellen des Problems.
Zu letzterem ein Beispiel aus einer meiner ersten Klausuren:
Zeige: Jede auf ganz [mm] \IR [/mm] definierte Funktion f(x) lässt sich in eine Summe f(x)= g(x)+u(x) zerlegen, wobei g symmetrisch zur y-Achse und u symmetrisch zum Ursprung ist.
Eine tolle und schöne Aussage, aber wie soll man das beweisen, wenn man gar nichts über f weiß? f kann doch Sprünge und Knicke haben.
Was weiß man über g und u? Doch nur: g(-x)=g(x) und u(-x)=-u(x) für alle x [mm] \in \IR. [/mm] Aber sonst nichts. Wie soll man g und u finden?
Die Idee (bitte merken!): Man sagt einfach: "Es stimmt!"
f(x)=g(x)+u(x), Beweis kommt später.
Jetzt benutzt man, was man über g und u weiß, obwohl man deren Existenz noch gar nicht bewiesen hat:
f(-x)=g(-x)+u(-x) [mm] \stackrel{!}{=}g(x)-u(x), [/mm] somit
f(x)=g(x)+u(x)
f(-x)=g(x)-u(x)
g, u unbekannt, Gleichungssystem mit 2 Unbekannten lösen:
Addition liefert:
f(x)+f(-x)=2 g(x), also [mm] g(x)=\bruch{f(x)+f(-x)}{2}
[/mm]
Subtraktion liefert:
f(x)-f(-x)=2 u(x), also [mm] u(x)=\bruch{f(x)-f(-x)}{2}
[/mm]
Jetzt den Spieß umdrehen, denn wir haben einfach die Existenz von g und u vorausgesetzt. Alles "vergessen" und sagen:
Bilde [mm] g(x)=\bruch{f(x)+f(-x)}{2}, [/mm] ist auf ganz [mm] \IR [/mm] definiert, und
bilde [mm] u(x)=\bruch{f(x)-f(-x)}{2}, [/mm] ebenfalls auf ganz [mm] \IR [/mm] definiert.
Dann ist g(x)+u(x)= [mm] \bruch{f(x)+f(-x)}{2}+\bruch{f(x)-f(-x)}{2}=\bruch{2f(x)}{2}=f(x)
[/mm]
und [mm] g(-x)=\bruch{f(-x)+f(+x)}{2}=\bruch{f(x)+f(-x)}{2}=g(x) [/mm] sowie
[mm] u(x)=\bruch{f(-x)-f(x)}{2}=-\bruch{f(x)-f(-x)}{2}=-u(x).
[/mm]
In deinem Studium lernst du also nicht tausend Probleme und deren Lösung kennen, sondern in erster Linie 20 Strategien, mit denen du dann tausend Probleme lösen kannst, aber nie weißt, welche Strategie nun anzuwenden ist.
Im gesamten Mathestudium habe ich höchstens 30 Integrale berechnen müssen (aber deutlich mehr Ableitungen), in Physik eher 500. Es ging fast nie darum, etwas zu berechnen, sondern in erster Linie darum, etwas zu beweisen. Und dazu gibt es keinen Königsweg.
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Status: |
(Antwort) fertig | Datum: | 16:36 So 24.04.2016 | Autor: | tobit09 |
Hallo impliziteFunktion!
> Wenn ich etwa mit einem Buch oder Skript arbeite und einen
> Satz lese, versuche ich diesen erst einmal selber zu
> beweisen.
Löblich!
(Ich selber schaffe es aus Zeitgründen leider zu selten, so vorzugehen...)
> Dann gibt es drei Fälle:
>
> 1. Es gelingt mir.
>
> 2. Es gelingt mir bis zu einem gewissen Schritt, den ich
> später nachlese und danach schaffe den Beweis zu einem
> Ende zu bringen. (Natürlich können es hier auch mehrere
> Stellen sein an denen ich stocke)
>
> 3. Es gelingt mir überhaupt nicht, weil die Technik des
> Beweises am Ende sehr viel anders ist, als von mir
> erwartet.
Das klingt für mich völlig normal.
> Bei solchen Beweisen des "Typ 3" bin ich oftmals in der
> Lage die Schritte des Beweises zu verstehen, doch
> irgendwie habe ich dabei immer das Gefühl, dass ich die
> Beweisidee nicht verstehe, bzw. nicht weiß warum jetzt
> eben diese Vorgehensweise gewählt wird und mein Versuch
> "zum scheitern verurteilt" war.
>
> Mir ist klar, dass es für viele Sätze auch viele
> verschiedene Beweise gibt und es natürlich dann auch auf
> den Autor/Professor ankommt, für welchen Beweis er sich
> entschieden hat.
> Das heißt also nicht unbedingt, dass meine Beweisidee
> prinzipiell nicht funktioniert, auch wenn es mir nicht
> gelingt. Vielleicht kann man sie ja doch irgendwie
> reparieren. (Eher nicht...)
>
> Was mich nun stört ist, dass ich einen Beweis überhaupt
> verstanden haben kann, wenn mir die Beweisidee nicht klar
> ist, bzw. warum eine bestimmte Technik verwendet wird.
> Denn wenn ich später nochmal zu einem solchen Beweis
> zurückkehre, ist mir manchmal immer noch nicht ganz klar,
> wie es genau war und der Beweis fällt dann in den "Typ 2",
> wobei ich dann meistens den Anfang benötige und es dann
> schaffe.
>
> Ich habe gerade kein konkretes Beispiel für einen solchen
> Beweis.
>
> Woran kann sowas liegen? Ist es dann eher ein fehlendes
> Verständnis der Grundlagen, oder liegt es daran, dass
> solche Beweistechniken dann eher "exotisch" sind, weil sie
> auch bisher in der Vorlesung oder ähnlichen nicht
> verwendet wurden.
Ich finde es völlig normal, dass man manchmal Beweise schrittweise nachvollziehen kann, ohne einen guten Überblick über die verwendeten Beweisideen zu haben.
> Kennt ihr sowas auch?
Wie gesagt: Ja.
> Wie geht ihr mit sowas um und wie
> kann man die Idee eines Beweis verstehen.
Hast du vielleicht ein Beispiel für einen (nicht zu aufwändigen) Beweis, der nicht gerade Spezialwissen voraussetzt und von dem du gerne ein besseres Verständnis der Beweisideen hättest?
Wenn dir im Moment keiner einfällt, kannst du ja später einen solchen posten, wenn du einem begegnest.
Ganz allgemeine Tipps habe ich leider nicht.
Grundsätzlich lassen sich unter den Methoden zum Finden von Beweisen die eher syntaktischen und die eher semantischen (Arbeit mit Intuitionen und Beispielen) unterscheiden.
Erfolgreiche Mathematiker verwenden typischerweise einen Mix aus beiden Methoden.
Viele Grüße
Tobias
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