Definition und Bedeutung von 'Previsible Process' < Finanzmathematik < Finanz+Versicherung < Hochschule < Mathe < Vorhilfe
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(Frage) beantwortet | Datum: | 08:00 Mo 05.04.2004 | Autor: | GrafZahl |
Hallo Leute,
ich lerne gerade Finanzmathe und habe nur die Buecher von Hull sowie Baxter/Rennie und die Skripte von Shreve und das von Stefan zur Verfuegung. Die Buecher sind manchmal nicht so ganz praezise mit den Begriffen, daraus ergeben sich fuer mich zwei Fragen, eine praezise Frage und eine etwas schwammige:
Im Baxter/Rennie wird Previsible process im Glossar als adaptiert und (links-) stetig umschrieben (S.224). Auf Seite 80 heisst es dagegen (in der Box):
[mm]F[/mm]-previsible: depending only on information up to time [mm]t[/mm] but not [mm]t[/mm] itself. Das ist also [mm]F_{t-}[/mm]-messbar?! Auch im diskreten Fall wird verlangt, dass [mm]\phi_t[/mm] [mm]F_{t-1}[/mm]-messbar sei, das ist doch beide Male mehr als adaptiert, oder etwa nicht?
Frage 1:
Wie lautet eine exakte Definition eines Previsible Process [mm]\phi_t[/mm], die auf den diskreten wie auf den stetigen Fall gleichermassen zutrifft?
Der Satz von Girsanov gemaess Baxter/Rennie (S.74) setzt einen previsible process [mm]\phi_t[/mm], voraus, in Shreve ist jenes [mm]\phi_t[/mm] lediglich adaptiert und auch in Stefans Skript ist [mm]\phi_t[/mm] [mm]F^W_t[/mm]-adaptiert.
Gleiches gilt fuer das Martingal-Representation-Theorem.
Frage 2:
Braucht man irgendwo tatsaechlich mehr als adapatiert z.B. stetig oder previsible im Beweis von Girsanov, beim Martingal-Representation-Theorem oder bei der Konstruktion von selbst-finanzierenden Strategien? Falls ja, wo genau? Falls nein, wieso macht man sich all die Muehe mit dem previsible process und sagt nicht einfach adaptiert?
Fuer alle Erlaeuterungen dankbar: Erasmus
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(Antwort) fertig | Datum: | 11:27 Mo 05.04.2004 | Autor: | Stefan |
Lieber Rasmus,
zunächst einmal: Mit Steven E. Shreve in einem Atemzuge genannt zu werden, dazu auch noch halböffentlich, das ist schon aller Ehren wert. Ich werde jetzt mal versuchen ein bisschen Licht in diesen Tunnel zu bringen, in dem ich mich allerdings selber befinde.
So: Okay, der Baxter ist nicht besonders präzise. Ich habe ihn auch, schaue aber quasi nie rein.
Die unterschiedlichen Definitionen an die Integranden hängen damit zusammen, welche Integratoren man zulässt.
Wenn man das stochastische Integral für stetige, quadratisch-integrierbare Martingale definiert, für welche der quadratische Variationsprozess
[mm]t \mapsto \langle M \rangle_t[/mm]
absolutstetig ist (stetig ist er immer nach Definition), dann genügt die Adaptiertheit der Integranden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn [mm]M[/mm] der Wiener-Prozess ist, denn dann ist bekanntlich [mm]\langle M \rangle_t = t[/mm].
Verzichtet man auf die Absolutstetigkeit der quadratischen Variation der stetigen, quadratisch-integrierbaren Martingalprozesse, dann braucht man, dass der Integrand progressiv-messbar ist. Auf die nötigen Integrabilitätsbedingungen verzichte ich, mir geht es hier nur um die Messbarkeit.
Definition 1 The stochastic process [mm]X[/mm] is called progressively measurable with respect to the filtration [mm]\{{\cal F}_t\}[/mm] if, for each [mm]t \ge 0[/mm] and [mm]A \in {\cal B}(\IR^d)[/mm], the set [mm]\{(s,\omega);0 \le s \le t,\omega \in \Omega,X_s(\omega) \in A\}[/mm] belongs to the product [mm]\sigma[/mm]-field [mm]{\cal B}([0,t]) \otimes {\cal F}_t[/mm]; in other words, if the mapping
[mm](s,\omega)\mapsto X_s(\omega): ([0,t] \times \Omega, {\cal B}([0,t]) \otimes {\cal F}_t) \to (\IR^d,{\cal B}(\IR^d))[/mm]
is measurable, for each [mm]t \ge 0[/mm].
Wenn man nun das stochastische Integral für eine noch weitere Klasse von Integratoren, nämlich für beliebige Martingale (die z.B. auch nicht-stetig sein können, wie zusammengesetzte Poissonprozesse (falls das sie richtige Übersetzung für "compensated Poisson processes" ist )), ausweiten will, dann reichen diese Messbarkeitsanforderungen nicht mehr aus. Dann benötigt man previsible (oder, was das Gleiche ist) predictable processes, also vorhersehbare Prozesse.
Hier eine Definition:
Definition 2 A set [mm]R[/mm] of the form [mm]R=\{0\} \times F[/mm], where [mm]F \in {\cal F}_0[/mm], or [mm]R = (s,t] \times F[/mm], where [mm]0\le s < t < \infty[/mm] and [mm]F \in {\cal F}_s[/mm], is called a predictable rectangle. The predictable [mm]\sigma[/mm]-filed is the [mm]\sigma[/mm]-field [mm]{\cal P}[/mm] generated by the predictable rectangles on the set [mm]\Pi:=[0,\infty)\times \Omega[/mm]. The sets in [mm]{\cal P}[/mm] are called the predictable sets. The process [mm]X:\Pi \to \overline{\IR}[/mm] is called predictable if it is measurable relative to the predictable [mm]\sigma[/mm]-field [mm]{\cal P}[/mm].
Man kann nun zeigen, dass ein links-stetiger Prozess vorhersehbar ist. Es gilt sogar mehr: Die vorhersehbare [mm]\sigma[/mm]-Algebra ist gleich der kleinsten [mm]\sigma[/mm]-Algebra, bezüglich der alle links-stetigen Prozesse messbar sind. (Dies ist aber (natürlich) nicht die kleinste [mm]\sigma[/mm]-Algebra, bezüglich der alle rechts-stetigen Prozesse messbar sind.) Weiterhin ist ein vohersehbarer Prozess progressiv-messbar und ein progressiv-messbarer Prozess adaptiert. Die Inklusionen sind beide echt.
Damit sollten sich auch deine Fragen klären:
> Frage 1:
> Wie lautet eine exakte Definition eines Previsible
> Process [mm]\phi_t[/mm], die auf den diskreten wie auf den stetigen
> Fall gleichermassen zutrifft?
Im stetigen Fall habe ich dir ja eine Definition gegeben.
Im diskreten Fall vereinfacht sich die Definition und reduziert sich auf die [mm]{\cal F}_{n-1}[/mm]-Messbarkeit von [mm]X_n[/mm] für alle [mm]n\in \IN[/mm]. Es gibt keine einheitliche Definition für den stetigen und diskreten Fall. Man erhält aber den diskreten Fall sozusagen anschaulich aus dem stetigen durch "Schnitte mit der Menge der natürlichen Zahlen". Hmmh, ist nur eine Intuition...
> Frage 2:
> Braucht man irgendwo tatsaechlich mehr als adapatiert z.B.
> stetig oder previsible im Beweis von Girsanov, beim Martingal-
> Representation-Theorem oder bei der Konstruktion von selbst-
> finanzierenden Strategien? Falls ja, wo genau? Falls nein, wieso macht
> man sich all die Muehe mit dem previsible process und sagt nicht
> einfach adaptiert?
Wenn man Girsanov für den Wiener-Prozess (bzw. etwas allgemeiner für stetige quadratisch-integrierbare Martingale mit absolutestetiger quadratischer Variation) formuliert, dann benötigt man es nicht. Wenn man es für allgemeine Martingale definiert, dann schon. Gleiches gilt für den Martingal-Darstellungssatz.
Alles (halbwegs) klar? (Völlig klar ist es mir ja selber nicht. )
Liebe Grüße
Stefan
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(Antwort) fertig | Datum: | 18:41 Do 20.05.2004 | Autor: | Stefan |
Lieber Rasmus,
die folgende Antwort hat mir letztens ein Gast per "Private Nachricht" übermittelt, und er hat vollkommen recht, daher stelle ich die Antwort noch hier rein:
Hallo Stefan,
ich bin beim Surfen zufällig auf dieses Forum gestossen und da auf Deine Antwort zu vorhersehbar.
Kleine Bemerkung (ob wichtig weiss ich nicht...): ich denke man kann vorhersehbar einheitlich im Diskreten und Stetigen definieren. Einen diskreten Prozess [mm] $(X_n)_{n \in \IN}$ [/mm] kann man als speziellen zeitstetigen Prozess auffassen, indem man ihn cadlag einbettet (d.h. so, dass er zwischen $n-1$ und $n$ den Wert [mm] $X_{n-1}$ [/mm] annimmt). Dann entspricht [mm] $X_{n-1}$ [/mm] gerade [mm] $X_{n-}$ [/mm] und die Definitionen von Vorhersehbarkeit entsprechen einander.
Viele Grüße,
Christoph
Liebe Grüße
Stefan
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