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(Frage) beantwortet | Datum: | 21:14 Mi 10.12.2008 | Autor: | yuppi |
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3. Mein besitz
Ich habe einen mantel in die jackentasche zu stecken
einen taschenmantel
ich habe ein radio in die jackentasche zu stecken
einen taschenradio
ich habe eine bibel in die jackentasche zu stecken
eine taschenbibel
ich habe gar keine solche jacke mit taschen
gar keine taschenjacke
ich habe eine schnapspflasche mit zwölf gläsern für mich
und alle meine onkels und tanten
ich habe eine kaffeekanne mit vier tassen für mich
und meine drei besten freundinnen
ich habe ein schachbrett mit schwarzen und weißen steinen für mich
und einen freund
ich habe gar keine freunde einzuladen
niemanden
ich habe einen himmel endlos über mir
darunter mich wiederzufinden
ich habe eine stadt voll straßen endlos
darin mir zu begegnen
ich habe ein lied endlos und endlos
darin ein- und auszuatmen
ich habe nicht mehr als ein gras zwischen zwei pflastersteinen
nicht mehr zu leben
Christa Reinig, Mein Besitz. Aus: Gedichte, 1965
Interpretieren Sie das Gedicht von Christa Reinig (*1926).
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Halloooo,
ich sitzte schon wirklich lange am Verständniss dieses Gedichtes. Ich soll es mit dem Gedicht von Günter Eich vergleichen..jedoch weiß ich nicht was dieses Gedicht mit das von Günter Eich im Hut hat...Das von Günter Eich ist ja unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg geschrieben worden und das von Christa Reinig 1965....
Was mir an der Form des Gedichtes aufgefallen ist der häufige Gebrauch von Anaphern. (ICH)
Gedichte sind leider nicht meine Stärke
Ich wäre euch für jede Antwort dankbar...
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Das ist eine andere Art von Besitz, die Christa Reinig da beschreibt. Günter Eichs "Inventur" war eine vielbeachtete Vorlage. Auch Robert Gernhardt hat etwa fünfzig Jahre später eine eigene Fassung vorgelegt (ich meine, "Inventur 1996"). Dazu gab es hier vor wenigen Tagen eine Diskussion, aber die urheberrechtlich fraglichen Teile sind inzwischen wegeditiert, so dass eine Verlinkung nicht mehr lohnt. Geblieben ist nur die Frage nach Eichs historischem Kontext.
Hier noch zwei Links, die Dir vielleicht erstmal ein bisschen weiterhelfen.
Einmal eine Interpretation zu Eich und hier noch eine karge Forendiskussion, in der immerhin beide Gedichte vorkommen.
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(Frage) beantwortet | Datum: | 22:12 Mi 10.12.2008 | Autor: | yuppi |
HI
Du hast ja gesagt" Das ist eine andere Art von Besitz, die Christa Reinig da beschreibt." Machst du das daran fest,dass christa reinig meistens sagt
ich habe einen mantel...
und Günter Eich sagt, Dies ist meine Mütze...
Also dass der Stellenwert bei Günter Eich ein höherer ist...?
Das Gedicht Mein Besitzt stammt ja aus dem Jahre 1965... da ist meine Frage zu welcher Epoche es angehört..
Gruß
yuppi
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Nein, das mache ich daran fest, dass sie erst immer "um zu" verwendet, dann aber den Zweck gar nicht erfüllen kann. Sie hat ja gar keine Jackentasche, weil sie keine Jacke hat. Und das Schachspiel mit Freund scheitert daran, dass es keinen Freund gibt. Ihr Besitz ist zweckorientiert und doch nutzlos.
Mit Epochen kenne ich mich nicht so gut aus, wenn sie nicht mindestens 150 Jahre vergangen sind...
Bei Eich übrigens scheinen die so alltäglich beschriebenen Gegenstände alle einen Symbolgehalt und eine persönliche Geschichte zu haben, bei Reinig bleiben die Gegenstände fassbar, ihre Bedeutung aber vor allem eine irreale, möglicherweise zukünftige, potentielle, und als Theologe würde ich noch sagen: unerlöste.
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(Frage) beantwortet | Datum: | 22:34 Mi 10.12.2008 | Autor: | yuppi |
Sorry aber das versteh ich nich:Nein, das mache ich daran fest, dass sie erst immer "um zu" verwendet, dann aber den Zweck gar nicht erfüllen kann. Sie hat ja gar keine Jackentasche, weil sie keine Jacke hat. Und das Schachspiel mit Freund scheitert daran, dass es keinen Freund gibt. Ihr Besitz ist zweckorientiert und doch nutzlos.
Kannst du mir das erklären für mich hat das ganze gedicht gar kein Sinn ^^ ist leider nich meine stärke
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Da steht kein "um zu", aber es wäre die Konstruktion, die die Sätze verdeutlicht.
Es gibt einen Mantel. Den hat sie, um ihn in die Jackentasche stecken zu können.
Es gibt ein Radio, auch klein genug für die Jackentasche.
Und es gibt eine Bibel, die sie in der Jackentasche herumtragen könnte.
Aber es gibt keine Jackentasche, weil sie keine Jacke hat.
Genauso die Schnapsgläser, die Kaffeekanne, das Schachbrett:
"ich habe gar keine freunde einzuladen | niemanden"
Keine Besitzanzeige, sondern ein Hilferuf, so auch später: "mir zu begegnen".
Die Metapher mit dem Gras zwischen den Pflastersteinen, dem Lied zum Atmen und den Umgang mit der Schlußzeile musst Du schon selbst lösen, finde ich. Was heißt denn, Du kannst das nicht? Hast Du keine Phantasie? Warum sagen Menschen Wörter, und was können sie alles heißen?
Im Bereich der Dichtung findest Du kein versehentliches Wort. Wenn es ein treffenderes gegeben hätte, dann stünde es da. Warum sagt sie das, was sie sagt, genau so? Warum skizziert sie gerade mit Mantel, Radio und Bibel den Anfang ihrer Inventurliste? Ist das nicht ein blödes Bild, ein Mantel, den man in die Jackentasche stecken kann? Wozu soll das gut sein?
Was heißt denn "ich habe eine stadt voll straßen"? Hat sie die wirklich? ...
Kau mal auf den Sätzen herum, bis sie komisch werden. Dann bist Du schon nahe daran, ihre Tiefe zu ergründen.
Nebenbei: ich mag das Gedicht gar nicht. Aber Zuwendung hat es verdient.
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(Frage) beantwortet | Datum: | 23:12 Mi 10.12.2008 | Autor: | yuppi |
ja klar habe ich phantasie...aber für mich hört sich das voll komisch an ...
Vielleicht öffnet sie die Inventur mit dem Mantel Radio, weil diese Gegenstände also zum Beispiel ein Radio und die Bibel von der Hitler nichts hielt so weiß verboten hatte ,,, Und ein Mantel hatten meisten Menschen jüdischen Glaubens an ...hmmmmm ich weiß nich ob ich grad total falsch denke...
Der Satz"Ich habe nicht mehr als ein gras zwischen zwei pflastersteinen
nicht mehr zu leben....
Sie macht ja da Gebraucht von einer Methapher sowie von einem Vergleich.
Ich glaub Sie will damit sagen,dass sie auf der Welt verloren ist....hmm und ihr Leben vielleicht so kein Sinn hat...
Trotzdem versteh ich nicht wer der addressat sein soll....
Aber mit der Verdrängung des 2 ten Weltkrieges hat dieses Gedicht nichts zu tun oder ?
Gruß yuppi
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Na, wird doch. Das klingt schon viel besser.
> ja klar habe ich phantasie...aber für mich hört sich das
> voll komisch an ...
Für mich auch. So rede ich nicht, und Frau Reinig sonst wahrscheinlich auch nicht.
> Vielleicht öffnet sie die Inventur mit dem Mantel Radio,
> weil diese Gegenstände also zum Beispiel ein Radio und die
> Bibel von der Hitler nichts hielt so weiß verboten hatte
> ,,, Und ein Mantel hatten meisten Menschen jüdischen
> Glaubens an ...hmmmmm ich weiß nich ob ich grad total
> falsch denke...
Das weiß ich auch nicht, aber es ist ein interessanter Gedanke. Wenn es dafür noch mehr Belege im Gedicht gibt, ist er womöglich tragfähig.
Dichtung wird dann stark, wenn sie verschiedene Deutungen ermöglicht und zulässt. Was immer letztlich Deine Interpretation ist, ist vor allem Deine und sicher nicht "die" Interpretation. Die gibt es nämlich nur im Kopf von Literaturkritikern mit völlig überzogener Selbstüberschätzung. Leider unterrichten manche dieser Menschen Deutsch an Schulen... Aber es gibt andere!
Ich hätte Mantel, Radio, Bibel anders verstanden: sie geht nicht aus, jedenfalls nicht in die Gesellschaft (da trug man zu der Zeit zu jeder Jahreszeit einen Mantel, nicht nur Juden). Sie nimmt nicht einmal Informationen der Welt da draußen wahr (Radio), hat den Kontakt schon verloren. Und selbst eine Projektion des Ichs auf das andere (nach Feuerbach), selbst einen religiösen Außenkontakt hat sie längst aufgegeben.
Das wird auch in der Sequenz über Verwandtschaft und Freunde deutlich. Nebenbei: warum sagt sie "Onkels"? Den korrekten hochdeutschen Plural "Onkel" wird sie doch gekannt haben. Da empfiehlt sich allerdings eher Recherche als Deutung.
In einem autobiografischen Bericht verwendet sie die gleiche Zusammenstellung, Onkels und Tanten. Vielleicht ist es also nur ein Regio- oder Soziolekt (nach Wandruszka).
> Der Satz"Ich habe nicht mehr als ein gras zwischen zwei
> pflastersteinen
> nicht mehr zu leben....
Ja, interessant. Gar kein korrekter Satz. Sind es vielleicht zwei dahingeworfene Sequenzen, unvollständig, elliptisch? Und wie betont man "nicht mehr zu leben" - auf "mehr", "leben" oder "nicht"? Das suggeriert drei verschiedene Deutungen.
Das Gras ist eingeengt in seinem Lebensraum. Andererseits ist es voll Kraft: dort soll es ja gar nicht wachsen und tut es trotzdem. Ist hier doch ein Quäntchen Lebensmut zu finden?
> Sie macht ja da Gebraucht von einer Methapher sowie von
> einem Vergleich.
> Ich glaub Sie will damit sagen,dass sie auf der Welt
> verloren ist....hmm und ihr Leben vielleicht so kein Sinn
> hat...
Ja, denke ich auch. Vielleicht aber gibt es doch noch Lebenswillen, s.o.
> Trotzdem versteh ich nicht wer der addressat sein soll....
> Aber mit der Verdrängung des 2 ten Weltkrieges hat dieses
> Gedicht nichts zu tun oder ?
Muss es einen Adressaten geben (im Englischen mit zwei d, im Deutschen mit einem)? Mir scheint es eine nachdenkliche Beschreibung der eigenen Befindlichkeit zu sein, fast die Vorstufe eines Abschiedsbrief, der ja auch oft an niemand Bestimmtes gerichtet ist, einfach an den Finder, die Finderin. "To whom it may concern", schreibt man im Englischen.
Wie Du sehe ich auch nicht, wo dieses Gedicht die Verdrängung des 2. Weltkrieges beinhalten könnte. Das ist wohl nicht das Thema.
> Gruß yuppi
LG,
rev
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(Frage) beantwortet | Datum: | 00:39 Do 11.12.2008 | Autor: | yuppi |
ich habe einen himmel endlos über mir
darunter mich wiederzufinden
ich habe eine stadt voll straßen endlos
darin mir zu begegnen
ich habe ein lied endlos und endlos
darin ein- und auszuatmen
Also mit diesen 6 Versen habe ich noch Verständnisprobleme
Hmmm...also mein erster ein Druck wär eine verwirrte Frau.....aber wie soll man da argumentieren?
kAMST du aus Lebenswillen Ich habe nichts mehr als ein gras..
Das Gras könnte den Lebenswillen deuten oder ?
Gruß yuppi und dankefür deine umfangreiche Antwort...
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viermal "endlos" in nur drei Bildern: das ist entweder Resignation oder Ewigkeitshoffnung; wahrscheinlich doch eher ersteres.
mich wiederzufinden
mir zu begegnen
- doch was ist hier die Entsprechung? Reinig will dazu zwingen, "ein- und auszuatmen" hierzu parallel zu sehen. Das ist nicht leicht, ein Worträtsel fast. Erschwert wird das durch die Stellung des oberflächlich gesehen überzähligen vierten "endlos". Geht es ihr um die Formulierung "endlos und endlos", oder ist das letzte Wort ein Vorgriff auf die folgende Zeile: "endlos | ein- und auszuatmen"?
Der Hilferuf bleibt auch hier prägend, aber wie sollte man ihr helfen zu atmen? Was für ein Lied ist das, das sie da hat? Singen es alle, singt nur sie es, oder vielleicht gemeinsam? Ist es das laute Lied der kommunikationsunfähigen Verrückten, die singend durch den öffentlichen Raum sich bewegt? Oder ein leises Lied im stillen Kämmerlein, das immer wiederkehrt? Oder ist es eines, das sie sich zu eigen gemacht hat und das ihr hilft, am Leben zu bleiben, endlos zu atmen? Weist es über sie hinaus ("endlos")?
Gewiss ist, dass diese Zeilen endgültig die Frage aufwerfen, was die Autorin mit dem Gedicht sagen will. Sie wird hier noch kryptischer als zuvor. Die Klimax führt hin zum Schluss, der mit scheinbar klaren Worten nur den Hinweis gibt, dass hier der Schlüssel zum Ganzen verborgen liegt. Das Ende liefert eine hermeneutische Prädisposition für alles Voraufgehende. Ist das Stilmittel oder gar ein strukturelles Analogon für die gesamte Aussage?
Vielleicht mag ich darum das Gedicht nicht. Es erschließt sich mir nicht, lässt mich fragend zurück ohne fassbare Hoffnung, das Rätsel lösen zu können. Ich sehe, dass die Autorin erheblichen Aufwand getrieben hat, eine Botschaft zu codieren, aber ohne Hinweis der angewandten Verschlüsselung werde ich das nicht dechiffrieren können.
Abschließend: die letzten beiden Absätze wären auch ein gültiger Abschluss für eine Gedichtinterpretation. Du musst gar nicht alles herausfinden. Deutschlehrer freuen sich auch über wohlgesetzte Erklärungen des Scheiterns.
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