Mathematik und Ethik < Philosophie < Geisteswiss. < Vorhilfe
|
Status: |
(Frage) beantwortet | Datum: | 17:39 Fr 04.06.2004 | Autor: | BigFella |
So damit auch mal was in dieses Forum kommt:
Im Moment beschäftige ich mich gerade mit dem Problem "Handeln unter Unsicherheit". Eine Möglichkeit mit Risiko umzugehen bietet die Mathematik in Form der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Was denkt ihr, wieweit läßt sich das fürs "Leben" anwenden.
|
|
|
|
Status: |
(Antwort) fertig | Datum: | 14:47 Sa 05.06.2004 | Autor: | Oliver |
Hallo Cordian,
interessante Frage, hier mal ein paar Gedankenfetzen (nicht wundern, wenn ab und zu der innere Zusammenhang abhanden kommt) meinerseits:
Die Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt einem zunächst einmal ja nur eine Möglichkeit, Aussagen über etwas zu treffen, ohne allzu verbindlich sein zu müssen. Wenn mir jemand sagt, dass ich zu 99,9% mit einem Investment Gewinn erwirtschaften werde und anschließend erleide ich doch einen Totalverlust, kann sich mein Berater immer noch auf die übrigen 0,1% berufen - ohne Handhabe Deinerseits. Wenn er das allerdings 10 Jahre lang mit 100 verschiedenen Produkten macht und überall geht das Geld flöten - dann wird das Gericht keine Sekunde zögern, den Mann hinter Schloss und Riegel zu stecken.
Was ich mit diesem Beispiel verdeutlichen wollte, ist folgendes: die Wahrscheinlichkeitsrechnung hilft Dir zwar, ein Risiko zu objektivieren - wenn Du die Entscheidung aber nur einmal treffen musst/kannst, kann sie manchmal sehr tückisch sein. Bessere Karten hat jemand, der die Entscheidung immer und immer wieder treffen kann, dann kann sie von echtem Nutzen sein (Stichwort: Gesetz der Großen Zahl).
Anderes Beispiel, jemand bietet Dir folgende Wette an: Du darfst einen Würfel mitbringen, bist eine ehrliche Haut (wie alle Mathematiker) und darfst auch noch würfeln. 10 Würfe, wenn eine 1 fällt musst Du zwei Euro zahlen, wenn eine gerade Zahl fällt, bekommst Du 1 Euro. Nimmst Du die Wette an? Natürlich, Du bist ja nicht auf den Kopf gefallen (wie alle Mathematiker). Und wieso? Weil Du Dir die Chancen ausgerechnet hast. Und womit? Mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ist das eine Garantie auf einen Gewinn? Nein. Wieso macht es trotzdem Sinn? Weil die Wahrscheinlichkeit einen Gewinn zu machen höher ist, als die einen Verlust zu erleiden.
Wenn man sich dieser Einschränkungen bewusst ist, kann man der Wahrscheinlichkeit also durchaus guten Gewissens bedienen.
Bye
Oliver
P.S.: Schöne Studienfachkombination übrigens, hätte es an meiner Uni auch geben sollen :)
P.P.S.: Der Status der Frage ist jetzt zwar auf beantwortet, aber welch fragender Geist dies auch immer lesen sollte, kann gerne noch seine Gedanken zum Thema ergänzen.
|
|
|
|
|
hallo!
also ich bin der meinung, dass gerade unsere welt in der wir heute leben zu sehr von Wahrscheinlichkeiten und Statistiken bewegt ist.
Wo bleibt der Begriff des Absoluten?
Ich meine damit folgendes: Wenn man in seinem Leben all zu oft die Wahrscheinlichkeitsrechnung anwendet, so tut man das zwangsläufig irgendwann nicht nur mehr dann, wenn es sich um irgendwelche Situationen handelt, wie z.B. Glücksspiel, Lotto, Auswahl beim Kauf eines Produkt usw.
Sondern man wendet dieses Prinzip irgendwann auf den Menschen an: Zu sehen ist dies z.B. in England, wo bestimmte medizinische Eingriffe bei Menschen, die älter als 60 sind, nicht mehr gemacht werden, mit der Begründung, dass die Statistik oder die Wahrscheinlichkeit meint, es lohne sich nicht, weil der Mensch vielleicht keine große Lebenserwartung mehr habe usw.
Mit dem Begriff des Absoluten soll hier die Ansicht von der absoluten Mehrheit gemeint sein:
Nicht die Anzahl der Fälle (woraus Statistik oder Wahrscheinlichkeiten entstehen), sondern der einzelne Fall ist wichtig.
Was bereits angesprochen wurde ist, dass eine Wahrscheinlichkeit niemals eine 100%ig sichere Aussage ist. Dies muss unbedingt berücksichtigt, viemehr sogar an erster Stelle des eigenen Wissens stehen.
Wer weiß schon, welche Wege Gott geht...
Ethik und Moral dürfen niemals die Mehrheit an erster Stelle haben, sondern immer zuerst das Individuum.
Leonce
|
|
|
|
|
Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 22:47 Di 08.06.2004 | Autor: | Oliver |
Hallo Leonce,
> Wer weiß schon, welche Wege Gott geht...
Aber da sieht man doch, dass Du in ähnlichen Verhältnissen denkst. Woran machst Du ein "Wunder" (ein Indiz für das Wirken Gottes) fest, doch wohl an Wahrscheinlichkeiten oder? Warum ist es ein Wunder, wenn ein Krebsleiden plötzlich geheilt ist, aber nicht, wenn Du über die Straße gehst und von keinem Auto erfasst wirst? Weil ersteres "unwahrscheinlicher" ist?
In diesem Zuge: Was macht für Dich den Unterschied zwischen Gott und Zufall aus? Ist ein Volltreffer im Casino Zufall oder Gottes Werk?
Oder ein Beispiel zur Ethik: Du sagst, nur das Individuum soll zählen. Wie sieht es damit aus, dass Dich ein böser Geiselnehmer mit 100 Geiseln vor folgende Wahl stellt: entweder er
a) erschießt eine beliebige Person oder
b) würfelt und erschießt alle Geiseln falls eine Sechs fällt
Wofür entscheidest Du Dich? Nach Deiner Logik für das Würfeln, oder?
> Ethik und Moral dürfen niemals die Mehrheit an erster
> Stelle haben, sondern immer zuerst das Individuum.
Da ist das (englische) Gesundheitswesen allerdings ein fragwürdiges Beispiel - hier regiert doch mittlerweile nicht mehr die Ethik, sondern die Profitorientierung. Und in diesem Sinne ist die Ausrichtung auf Wahrscheinlichkeiten doch wieder verständlich, oder? (Das will ich jetzt bitte nicht so verstanden wissen, dass ich das befürworte).
Ich hoffe, jetzt wird ein bisschen klarer, warum ich denke, dass wir oft in Wahrscheinlichkeiten denken müssen, um unsere Entscheidungen zu objektivieren ... es kann natürlich auch sein, dass ich über's Ziel hinaus geschossen bin und Du eigentlich etwas ganz anderes gemeint hast. ;)
Mach's gut
Oliver
|
|
|
|
|
Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 16:46 Do 10.06.2004 | Autor: | BigFella |
Hmm ich denke das Beispiel mit dem Terroristen ist sehr heikel:
Also wofür entscheidest du dich? Läßt du die chance aus, dass du eventuell alle retten kannst? Ich meine ok, das mit dem Würfeln klingt schon etwas seltsam, aber man kann das ja auch durch einen andere zufällige Komponente ersetzen: Also beispielsweise: Man setzt eine Spezialeinheit ein deren erfolgswahrscheinlichkeit eben der des Würfels entspricht. Scheitert sie, sterben alle Geiseln. Wie entscheidet man sich? Rein quantitativ betrachtet: Ich nehme Variante eins, denn bilde ich den Erwartungswert über die Opferanzahl, ist diese mit eins bestimmt am geringsten. Ok alles gut und wir sind fertig?! Hmm aber halt: Ein Mensch stirbt nun ganz bestimmt. Ok den 99 anderen dürfte das egal sein (naja zumindestens etwas) aber was ist mit der einen Person, die es trifft? Pech gehabt? Wie begründet man, dass es besser ist, wenn sie für alle anderen sterben muss? Naja sind jetzt auch nur Gedanken und wahrscheinlich kann man hier nicht wirklich sagen, welche entscheidung die bessere ist...
|
|
|
|
|
Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 00:10 Fr 11.06.2004 | Autor: | leonce85 |
hallo oliver!
> > Wer weiß schon, welche Wege Gott geht...
>
> Aber da sieht man doch, dass Du in ähnlichen Verhältnissen
> denkst. Woran machst Du ein "Wunder" (ein Indiz für das
> Wirken Gottes) fest, doch wohl an Wahrscheinlichkeiten
> oder? Warum ist es ein Wunder, wenn ein Krebsleiden
> plötzlich geheilt ist, aber nicht, wenn Du über die Straße
> gehst und von keinem Auto erfasst wirst? Weil ersteres
> "unwahrscheinlicher" ist?
ein wunder im religionsphilosophischem bzw. theologisch-philosophischem sinne ist neimals eine heilung oder etwas derartiges. ein wunder ist immer nur die uns in christus begegnende gnade gottes. das zunächst zur begriffsklärung "wunder".
von daher kann ich also bei krebsleiden, autounfällen nie im zusammenhang eines göttlichen wunders sprechen, es sei denn ich tue es in dem maße, wie rudolf bultmann es einst definiert hat, in dem er sagte, es gäbe in einer von jesu wundergeschichten immer ein sichtbares, aber nicht wirkliches wunder und ein verstecktes, wirkliches. bezogen auf die allgemeinheit unseres lebens bedeutet dies dann, dass wir menschen gar nicht auf den ersten blick das versteckte sehen können,
außerdem denkt der mensch (leider) stets in einer für ihn greifbaren dimension und nicht in der, in welcher er das versteckte, wahre wunder auf anhieb sehen könnte.
> In diesem Zuge: Was macht für Dich den Unterschied zwischen
> Gott und Zufall aus? Ist ein Volltreffer im Casino Zufall
> oder Gottes Werk?
hier befinden wir uns in der diskussion in wie weit gott auf unser leben einwirkt: meiner meinung nach muss man zwischen menschentaten und gottestaten fein unterscheiden.
außerdem: alle mathematischen regeln haben letztlich ihren ursprung im diesseits. woher willst du wissen, dass sie auf eine (mögliche) jenseitige welt anzuwenden sind?
wenn gott wirklich existiert, ist es lächerlich, anzunehmen, er bestimme sein handeln durch mathematische gesetze... denn wo soll sonst die andersartigkeit definiert sein?
> Oder ein Beispiel zur Ethik: Du sagst, nur das Individuum
> soll zählen. Wie sieht es damit aus, dass Dich ein böser
> Geiselnehmer mit 100 Geiseln vor folgende Wahl stellt:
> entweder er
> a) erschießt eine beliebige Person oder
> b) würfelt und erschießt alle Geiseln falls eine Sechs
> fällt
> Wofür entscheidest Du Dich? Nach Deiner Logik für das
> Würfeln, oder?
das ist eine sehr gute frage: vergleichbar mit: "du bist mit drei leuten in einem dschungel, die anderen beiden werden von einer tödlichen giftschlange gebissen. du hast ein antiseptikum, dass aber nur für eine person reicht. beide bedeuten dir gleichviel. für wen entscheidest du dich?"
aber wir sind bei der frage, in wie fern du selbst die stochstik anwenden wirst in deinem leben, also aktiv handelst. wenn du also von ihm gefragt wirst, bedienst du dich nicht der stochastik, sondern er.
aber: du hast in diesem fall wohl recht, dass man sich eher für das würfeln entscheidet. nur: ausnahmen bestätigen die regel; und weil es sich hier um eine absolute ausnahmesituation handelt, wäre das die ausnahme. aber du gibst doch wohl zu, dass diese situation sich stark von anderen unterscheidet.
> > Ethik und Moral dürfen niemals die Mehrheit an erster
> > Stelle haben, sondern immer zuerst das Individuum.
>
> Da ist das (englische) Gesundheitswesen allerdings ein
> fragwürdiges Beispiel - hier regiert doch mittlerweile
> nicht mehr die Ethik, sondern die Profitorientierung. Und
> in diesem Sinne ist die Ausrichtung auf
> Wahrscheinlichkeiten doch wieder verständlich, oder? (Das
> will ich jetzt bitte nicht so verstanden wissen, dass ich
> das befürworte).
das habe ich auch stark gehofft ... aber in dem moment, wo du doch merkst, dass die ursache für die momentane situation (nämlich profitorientierung) nicht richtig ist, bist du doch allein schon durch die ethik verpflichtet, sie zu ändern! oder gibt es die "eingeschränkte akzeptanz der bestehenden ordnung"? also aus streng theologischer sicht nicht!
>
> Ich hoffe, jetzt wird ein bisschen klarer, warum ich
> denke, dass wir oft in Wahrscheinlichkeiten denken müssen,
> um unsere Entscheidungen zu objektivieren ... es kann
> natürlich auch sein, dass ich über's Ziel hinaus geschossen
> bin und Du eigentlich etwas ganz anderes gemeint hast.
> ;)
ich schieße doch genauso darüber hinaus . sorry, dass ich oft in die theologische ebene abrutsche, denn eigentlich soll es ja um philosophie gehen. immerhin ist sie nur in richtungen eingeteilt, wohingegen die theologie doch schon ganz abgefertigte linien vertritt, denke ich.
> Mach's gut
ebenso!
leonce
|
|
|
|
|
Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 09:54 Fr 11.06.2004 | Autor: | Stefan |
Hallo Leonce!
Die von dir indirekt aufgestellte Alternative "Statistik oder Ethik" kann ich nicht nachvollziehen, es handelt sich um zwei völlig verschiedene Kategorien. Vermutlich meinst du "Utilitarismus oder universalistische Ethik". Denn die Anwendung von Statistiken an sich ist weder "gut" noch "schlecht", und wie Olivers Beispiel zeigt, kann ihre Anwendung sogar auch im universal-ethischen Sinne vernünftig sein.
Solche Dilemma-Beispiele, und von denen gibt es ja zahlreiche, können jede ethische Absolutheitstheorie widerlegen und zeigen deutlich, dass wir eine universalistische Ethik nur näherungsweise beschreiben können. In unserem täglichen Leben werden wir sie also immer utilitaristisch färben, und das ist auch gut so.
> ein wunder im religionsphilosophischem bzw.
> theologisch-philosophischem sinne ist neimals eine heilung
> oder etwas derartiges. ein wunder ist immer nur die uns in
> christus begegnende gnade gottes.
, gefällt mir sehr gut
> wenn gott wirklich existiert, ist es lächerlich,
> anzunehmen, er bestimme sein handeln durch mathematische
> gesetze... denn wo soll sonst die andersartigkeit definiert
> sein?
Auch hier bin ich deiner Meinung: Wenn Gott existiert, würfelt er nicht. Dann sind die mathematischen Gesetze nur eine Projektion der göttlichen Allmacht. Damit will ich nichts über die Existenz Gottes gesagt haben, da ich mich nur mit Folgerungen, also Gegenständen unseres Wissens und unserer objektiven Erkenntnis, nicht aber mit Gegenständen des Hoffens öffentlich auseinandersetzen möchte.
> > > Ethik und Moral dürfen niemals die Mehrheit an erster
>
> > > Stelle haben, sondern immer zuerst das Individuum.
> >
> > Da ist das (englische) Gesundheitswesen allerdings ein
>
> > fragwürdiges Beispiel - hier regiert doch mittlerweile
>
> > nicht mehr die Ethik, sondern die Profitorientierung.
Wir dürfen uns bei Kant bedanken, dass dies bei uns nicht so ist. Die durch ihn ausgelöste kopernikanische Wende hat in Westeuropa den angelsächsichen Utilitarismus zum Glück größtenteils vertrieben, während England nur eindimensionale Aufklärer wie Hume hatte.
Es ist aus ethischen Gesichtspunkten absolut notwendig, jedem Menschen in jedem Alter eine Operation prinzipiell zu ermöglichen. Diese (Entscheidungs-)Freiheit ermöglicht ja erst die Entfaltung ethischer Prinzipien. Aus dem Blick "von außen" sind also Forderungen, alten Menschen keine Hüftoperationen mehr zu gewähren, die im übrigen in Deutschland fatalerweise von einem Politiker aufgestellt wurden, deren Partei ein "C" enthält, unmoralisch. Das war der Blick aus der Gesellschaft. Jetzt ändern wir aber mal die Perspektive: Wie sieht es eigentlich mit der Ethik der 85jährigen Person selbst aus? Wenn ich in dieser Situation wäre, würde ich mich schon (wirklich!) fragen: Brauche ich wirklich diese Operation? Wenn jeder bei unserem Gesundheitssystem aus dem Vollen schöpft, bricht es unweigerlich zusammen. Auch das ist Ethik: Nehme ich mir alles, was ich prinzipiell haben könnte oder übe ich im Sinne eines gemeinschaftlichen Konsens Verzicht aus? Die Antwort auf die Frage ändert sich aus meiner Sicht in Abhängigkeit der Perspektive: Man muss allen die Freiheit geben alles nehmen zu können, aber der Einzelne soll aus der sich ihm selbst gegebenen Vernunft heraus Verzicht üben.
> sorry, dass
> ich oft in die theologische ebene abrutsche, denn
> eigentlich soll es ja um philosophie gehen.
"Redet er schon immer von Tugend, so ist er verdorben, redet er beständig von Religion, so ist er's im äußersten Grade." (I. Kant)
Nimm das nicht zu ernst. Ich bin mit einer Religionslehrerin verheiratet. Außerdem finde ich dich sympathisch und freue mich, dass du im Geschichts- und Deutschforum so toll geholfen hast.
Liebe Grüße
Stefan
|
|
|
|